Königsweg über die Qaqortoq-Halbinsel 2005 (Grönland)
geschrieben von kirko am 06. November 2005 - 11:32:57

Montag, 27.06.2005

Heiß und sonnig begrüßt uns Kopenhagen an unserem ersten Urlaubstag.
Bereits um 9.00 Uhr morgens brennt uns die Sonne unermüdlich auf die Häupter. An das Märchen vom stets verregneten Skandinavien glauben wir schon lange nicht mehr.

Die letzte Nacht haben wir im Hotel Jörgensen verbracht. Wenn man sich vom äußeren Eindruck nicht abschrecken lässt, kann man hier sehr preiswert in ausgesprochen gemütlichen Zimmern übernachten.

Nach dem Frühstück, welches keine Wünsche offen ließ, machen wir uns auf den Weg zum Flughafen, von wo uns dann Air Greenland in den weitaus nördlicheren Teil Dänemarks nach Grönland bringen soll. Doch schon auf dem Weg zur S-Bahn lassen die schweren Rucksäcke die Frage aufkommen, ob man nicht doch das ein oder andere hätte zu Hause lassen können. Aber dazu ist es nun zu spät, die Schwergewichte werden für die nächsten 3 Wochen unsere einzigen Begleiter sein.

Das Gedränge beim Einchecken ist groß. Dänische Rentner schlagen mit Gehhilfen um sich und schieben uns ihre Rollenkoffer in die Fersen. Irgendwann ist es geschafft, wir halten unsere Bordkarten in der Hand. Nicht mehr lange bis zum Abflug. Die Zeit bis dahin vertreiben wir uns in Duty Free Shops, wobei es allerdings beim Anschauen bleiben muss, schließlich sollen die Rucksäcke nicht noch schwerer werden.

Der Flug verläuft problemlos und so landen wir nach 4 Stunden und 40 Minuten Flugzeit um 11.40 Uhr Ortszeit in Narsarsuaq. Hätte an dem winzigen Flughafengebäude nicht tatsächlich Narsarsuaq gestanden, hätten meine Zweifel, ob der Pilot sich nicht verflogen hat und wir doch wieder, wie bereits im letzten Jahr, in Kangerlussuaq gelandet sind, so schnell nicht ausgeräumt werden können. Auf dem zweiten Blick fällt jedoch auf, dass Narsarsuaq wesentlich kleiner ist und praktisch nur aus dem Flughafen, dem Flughafenhotel, einer Jugendherberge, einem kleinen Supermarkt sowie dem 2 km entfernten Hafen besteht. Alle der ca. 300 Einwohner sind am Flughafen beschäftigt. Wer seinen Job verliert, muss auch weg von hier.

Wir haben es etwas eilig. Wollen wir doch noch heute nach Itilleq, dem Ausgangspunkt des Königswegs, auf dessen Pfaden wir die nächste Woche wandern wollen.

Für die Fahrt nach Ittileq benötigen wir einen Bootstransfer. Leider ist das Linienschiff der Arctic Umiaq Line schon ausgebucht. Bestens informiert wissen wir jedoch, dass Jackie vom Blue Ice Cafe auch Touren nach Ittileq anbietet. Wir fragen dort nach, ob es heute noch möglich ist, mit dem Boot an unser Ziel zu gelangen. Jackie ist nicht dort, doch im Blue Ice Cafe ist man zuversichtlich und man rät uns, dort auf ihn zu warten. Was sollten wir auch sonst tun? Im naheliegenden Supermarkt kaufen wir noch schnell Brot, Butter, Käse, Eier und natürlich Reinbenzin. Dann vertreiben wir uns die Wartezeit im Blue Ice Cafe mit dem Lesen von Reiseführern, Prospekten und dem Durchstöbern sonstiger Angebote.

Ein Telefon klingelt. Wir hoffen, dass es vielleicht Jackie ist. Mitten im Telefongespräch hält der Sprechende plötzlich inne und fragt uns, ob wir Kirko und Nicole sind. Ein wenig verdutzt bejahen wir dies. Dann sagt er: „There is a small message for you“. Eine Nachricht für uns? Wer sollte uns mitten auf Grönland eine Nachricht hinterlassen? Sie soll uns gleich gebracht werden. Und tatsächlich, wir bekommen einen Zettel ausgehändigt. Neugierig falten wir ihn auseinander. Wir müssen beide grinsen. Die Nachricht ist von unserem Wanderfreund Adi, einem Österreicher, den wir im letzten Jahr auf dem Arctic Circle Trail getroffen haben. Kurz vor unserer Abreise haben wir erfahren, dass er ebenfalls nach Narsarsuaq fliegen wird. Und wie wir seiner Nachricht entnehmen können, ist er also tatsächlich vor 3 Tagen hier gelandet. Wir sind gespannt, ob man sich sieht.

Irgendwann kommt dann auch Jackie. Wir werden einschließlich unserer immer noch zu schweren Rucksäcke im Auto verstaut und zum Hafen gefahren. Dort besteigen wir einen kleinen Fischkutter namens Puttuk. Die Sonne glitzert auf den in der Bucht schwimmenden Eisbergen. Die See ist unruhig, aber nicht beängstigend. Die Rucksäcke sollen jedoch vorsichtshalber gleich unter Deck verstaut werden.

Wir sitzen auf dem Deck, staunen über die vielen Eisberge und quatschen in einer Mischung aus deutsch und englisch mit einem beim Blue Ice Cafe angestellten Dänen über unsere Wanderpläne und seinen Job hier auf Grönland. Nach nur kurzer Fahrt müssen wir uns jedoch auch unter Deck begeben, um nicht über Bord gespült zu werden.

Der Kutter schaukelt in den Wellen. Kirko sieht schon ganz blass aus. Ich halte vorsichtshalber eine Tüte für ihn bereit. Aber nicht sein Magen ist es, der plötzlich rebelliert, sondern meiner und ich bin froh, die Tüte griffbereit zu haben. Da ich ziemlich gern auf See bin und noch nie Probleme hatte, ist Seekrankheit eine ganz neue Erfahrung für mich, auf die ich allerdings lieber verzichtet hätte. Zu allem Überfluss sagt Jackie uns nun auch noch, dass er unmöglich in Ittileq anlegen kann und wir wieder umkehren müssen. Also noch mindestens eine Stunde in einer Nussschale zwischen den meterhohen Wellen.

Plötzlich sind noch mehr Leute da. Wie sie an Bord gelangt sind, wissen wir nicht, nur eins ist sicher, wir haben nirgendwo angelegt. Kurz darauf scheint es, als hätten wir das Ziel erreicht. Nur welches? Tief in unserem Inneren hoffen wir, vielleicht doch irgendwo in Ittileq festgemacht zu haben. Um so größer ist unsere Enttäuschung, als wir feststellen müssen, dass der Fischkutter Puttuk tatsächlich wieder im Hafen von Narsarsuaq liegt. Wir sollen morgen Mittag wieder ins Blue Ice Cafe kommen, vielleicht haben wir dann ja mehr Glück.

Wir trotten mit unseren Rucksäcken, auf der Suche nach einem geeigneten Lagerplatz für die Nacht, zurück nach Narsarsuaq. Nahe der Jugendherberge finden wir eine ebene Stelle, die wie geschaffen für uns scheint. Das Zelt ist schnell aufgebaut und eingerichtet. Zum Abendbrot genießen wir die vorerst letzten Spiegeleier. Noch ein kleiner Spaziergang nach dem Essen und dann kriechen wir in der Hoffnung morgen nach Ittileq zu gelangen in die kuscheligen Schlafsäcke.


Dienstag, 28.06.2005

Sonnenstrahlen und wohlige Wärme reißen uns aus unseren Träumen. Nebenan in der Jugendherberge herrscht bereits reger Betrieb. Ein Ausflugsbus steht bereit. Nur wenig später ist bereits wieder die von uns so geliebte Ruhe eingekehrt. Das schön anmutende Wetter stimmt uns optimistisch.

Nach einem ausgedehnten Frühstück packen wir unsere Sachen und machen uns erneut auf den Weg zum Blue Ice Cafe. Dort werden wir skeptisch gemustert und „Wolltet Ihr nicht trekken?“ gefragt. In unserem holprigem Englisch schildern wir, nun schon wieder schmunzelnd, unsere Geschichte. Und so sitzen wir wieder mal, auf Jackie wartend, die uns schon bekannten Reiseführer studierend, im Blue Ice Cafe.

Nur wenig später erscheint dann auch Jackie. Zuversichtlich erklärt er uns, dass die See heute ruhiger ist, er ein größeres Boot zur Verfügung hat und wir uns gegen 15.00 Uhr wieder im Blue Ice Cafe einfinden sollen, von wo er uns dann zum Boot bringen würde. Bleibt uns also noch ein wenig Zeit, um im Sonnenschein ein Eis zu schlecken.

Wieder zurück im Blue Ice Cafe sehen wir Jackie mit einem Engländer, dessen Reiseroute planend. Wie wir später feststellen, wird sich seine Route des öfteren mit unserer Route kreuzen. Dann endlich gegen 16.00 Uhr werden wir zum Hafen gebracht und besteigen dort im Gegensatz zu der Nussschale von gestern einen Luxusdampfer.

Mit uns an Bord sind viele Inuit. Als das Boot wenig später ablegt, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Aber meine Sorge ist umsonst. Völlig ruhig schippert unser Luxusdampfer Richtung Ittileq. Das Naturschauspiel der bläulich schimmernden, in der Sonne weiß glitzernden, rechts und links von uns treibenden mächtigen Eisberge wird so zum einzigartigen Erlebnis. Ganz im Gegensatz zu gestern bedauern wir nun fast, dass nach zwei Stunden Fahrt sich im Licht der Sonne nun die Höfe von Ittileq abzeichnen.

Bevor wir dort von Bord gehen können, müssen mit dem Boot jedoch einige Eisblöcke zerstört werden, die sich vor dem Anlegesteg gesammelt haben. Das Boot ist vertäut, nur wir beide verlassen es. Dort stehen wir nun, während sich das Boot mit den anderen Reisenden mehr und mehr entfernt. Die Inuit winken uns zu, als wären wir alte Freunde, wir winken zurück. Doch schon schnell ist von ihnen und dem Boot nichts mehr zu sehen.

So ganz sind wir der Zivilisation jedoch noch nicht entflohen. Von Ferne dringen Motoren von landwirtschaftlichen Maschinen an unsere Ohren, zwischendurch blökt ein Schaf und ganz weit weg, fährt ein Auto auf der Schotterpiste Richtung Igaliku. Auch unser Weg führt über die Schotterpiste in das ca. 6 km entfernt gelegene Igaliku. Diese Verbindung wurde früher als Königsweg bezeichnet und gab dem heutigen Trek über die Qaqortoq-Halbinsel seinen Namen. Auf zwar leicht begehbarem Weg, doch durch hügeliges Gelände wandern wir vorbei an riesigen Feldern, herrlich gelb blühenden Wiesen und atmen den Duft der Freiheit. Immer wieder kreuzen verdutzt blickende Schafe unseren Weg. Ein Auto überholt uns, fragt, ob wir mitwollen. Nein, noch sind wir voller Ehrgeiz, wenn die Last der Rucksäcke auch schon ganz schön auf den Schultern drückt. Dafür entschädigt uns der Blick vom höchsten Punkt des Hügels. Verstreut liegt plötzlich die kleine Siedlung Igaliku mit ihren buntern Holzhäusern zu unseren Füßen. Dahinter blitzt das blaue Meer. Der Anblick überwältigt. Erst die verstört blökenden Schafe lassen uns aus unserer Schwärmerei erwachen und den Abstieg nach Igaliku beginnen.

Keine Frage, dieses schöne Fleckchen Erde müssen wir morgen noch einmal genauer betrachten und so werden wir uns schnell darüber einig, dass Igaliku unser erster Stopp auf dem Weg nach Qaqortoq sein wird. Wir sind sehr erstaunt, dass es hier sogar eine Jugendherberge gibt, aber das Wetter ist viel zu schön und wir haben ja unser eigenes kleines Heim dabei. Also fragen wir nur, wo wir unser Zelt aufbauen können. Es wäre nirgends ein Problem meint der sehr freundliche Herbergsleiter und zeigt uns gleich auch noch eine Wasserstelle. Nach längerem Suchen haben wir dann endlich eine ebene Stelle gefunden und beginnen gerade die Rucksäcke auszupacken, als wir den Herbergsleiter wild winkend auf uns zukommen sehen. Diese Stelle wäre wegen der Schafe wohl doch nicht so geeignet und er zeigt uns einen Platz weiter unten im Dorf.

Gerade wollen wir alles zurück in die Rucksäcke stopfen, als plötzlich, von uns völlig unbemerkt, ein Mann hinter uns steht. Sofort quält uns das schlechte Gewissen, weil wir vermuten ihn, mit unserer Idee dort zu zelten, gestört zu haben. Deswegen dauert es auch eine Weile, bis wir begreifen, was er von uns will. Sein Haus befindet sich etwas oberhalb der Jugendherberge und wenn wir wollten, so meinte er, können wir bei ihm zelten. Und ob wir wollten. Noch während wir unser Lager errichten, lädt uns der in Grönland lebende Schwede, wie wir später erfahren, in sein Haus zum Kaffee ein.

Eigentlich wollen wir ja unsere Ruhe haben und müde sind wir auch, aber diese Einladung können wir unmöglich ausschlagen und neugierig auf das grönländische Leben sind wir natürlich auch. Also bauen wir unser Zelt zu Ende auf und gehen dann zum Haus hinüber. Draußen ist niemand zu sehen, die Haustür steht aber offen. Unser zaghaftes Klopfen wird gehört und wir werden gebeten hereinzukommen. Der Schwede stellt uns seine Frau vor, eine Frau der Inuit. Er hat sie vor ca. 30 Jahren geheiratet und lebt seit dem auf Grönland. Klingt traumhaft schön. Als wir jedoch den einzigen Raum im Haus betreten, der als Wohn- und Schlafraum und als Küche gleichzeitig dient und dabei gerade mal so groß ist wie unser Wohnzimmer allein, wissen wir, dass dieses Leben wahrscheinlich nicht immer einfach ist. So erzählen uns die beiden stolz, dass sie sogar einen Kühlschrank haben, für uns nichts besonderes, doch hier in dieser unzivilisierten Welt ein Hauch von Luxus.

Wir werden an den Tisch gebeten und nehmen auf den beiden einzigen wackligen Stühlen Platz, während sich unsere Gastgeber auf dem Bett platzieren. Mit einer uns Deutschen unbekannten Herzlichkeit servieren sie uns Kaffee und Tee und bewirten uns mit Knäckebrot, Keksen und selbstgemachten Bonbons. Sie sind ausgesprochen kommunikationsfreudig, doch erweist sich eine Kommunikation als schwierig. Der Schwede und seine Frau sprechen nur wenig englisch, wir sprechen weder dänisch, schwedisch noch grönländisch und die paar Brocken unserer Norwegisch-Kenntnisse reichen gerade mal um uns vorzustellen und uns für alles zu bedanken.

Doch manche Gesten bedürfen keiner Worte. Wir bekommen zwei selbstgeschnitzte und gravierte Buttermesser geschenkt. Ein wundervolles Andenken an diese liebenswürdigen Menschen. Auch wenn wir die überaus freundliche Aufmerksamkeit unserer Gastgeber sehr schätzten, mussten wir doch noch etwas essen und ein wenig Schlaf würde uns auch ganz gut tun. So war es uns fast schon unangenehm, als wir uns verabschieden mussten und uns noch einmal für alles bedankten.

Als wir in unser Zelt kriechen bemerken wir noch, dass zwei weitere Wanderer eingetroffen sind, die von unserem Schweden ebenso herzlich empfangen werden. Dann kuscheln wir uns nach dem Essen in unsere Schlafsäcke und sind wenig später auch schon eingeschlafen.



Mittwoch, 29.06.2005

Auch heute weckt uns wieder die Sonne, die noch immer unermüdlich von einem wolkenlosen blauen Himmel herabstrahlt. Zeit für uns sich aus dem Schlafsack zu schälen und das Frühstück zuzubereiten.

Unsere Gastgeber sind längst bei der Arbeit. Aus dem Zelt der anderen beiden Wanderer dringt noch kein Laut. Bei dick beschmierten Butterbroten, den restlichen Eiern, Kaffee und warmer Schokolade, sind wir überzeugt, dass es uns nie besser ging. Als wir dann beginnen alles wieder in den Rucksäcken zu verstauen, werden auch die anderen beiden wach. So können wir vor dem Aufbruch noch ein kurzes Schwätzchen halten. Sie kommen aus Frankreich und sind von Qaqortoq hierher gelaufen. 6 Tage haben sie dafür benötigt, wurden allerdings aufgrund von dichtem Nebel zu einem Tag ungewolltem Zeltaufenthalt gezwungen. Schon bald werden wir daran denken.

Wir quatschen noch etwas über Ausrüstung und Verpflegung. Sie staunen über unser GPS-Gerät, wir staunen darüber, dass sie mit 6 Broten im Gepäck durch die Wildnis gezogen sind. Oder haben wir da etwas falsch verstanden? Wohl kaum, denn auf ihrem Frühstückstisch stapeln sich Kaffeepulver und Marmelade in Gläsern. Wir verabschieden uns von den beiden, bedanken uns noch einmal bei unseren Gastgebern und machen uns dann auf den Weg, zunächst hinab in den Ort, der über Nacht noch idyllischer geworden zu sein scheint. Im örtlichen KNI-Laden wird das Gewicht der Rucksäcke nochmals um Brot, Eier und Äpfel erhöht.

Die Bank am Meer verlockt zu einem letzten Eis. Der Aufbruch fällt schwer, aber Qaqortoq liegt noch in weiter Ferne und in spätestens 8 Tagen soll uns die Fähre von dort durch die Eismeerfjorde nach Narsaq bringen.

Der Blick auf die Karte zeigt, dass wir an einem Fluss den vor uns liegenden Berg besteigen müssen. Einen Fluss sehen wir nicht, allenfalls ein paar ausgetrocknete Rinnsale, doch davon gibt es hier viele. Kein Steinmännchen markiert den Beginn des Trails und kein Pfad gibt eine Richtung vor. So umherirrend erfahren wir wieder einmal die überaus freundliche Art der Inuit. Ein netter Mann bedeutet uns mit Händen und Füßen die Richtung, einen Pfad scheint es tatsächlich nicht zu geben. Da es verschiedene Routen nach Qaqortoq gibt, empfiehlt er uns noch die seiner Meinung nach beste Route.

Den Eindruck jetzt wirklich besser orientiert zu sein, haben wir zwar nicht, freuen uns jedoch über die offene Art, mit der man uns begegnet. Der Anstieg ist steil und nur zu bezwingen, indem man immer wieder zurück schaut und auf das traumhafte Igaliku mit dem dahinter funkelndem Fjord zurückblickt. Da wir den Eindruck haben, etwas weit vom Weg abgekommen zu sein, wird das erste Mal das neu erworbene GPS-Gerät befragt. Und tatsächlich, unser Weg müsste sich eigentlich etwas weiter westlich befinden. Aber dort ragt leider der nächste Hügel in die Höhe. Wir lassen die Rucksäcke an Ort und Stelle und erklimmen den Hügel ohne Gepäck. Wie als Belohnung thront ein Steinmännchen auf dem Plateau.

Die Rucksäcke sind schnell geholt. Wir befinden uns nun auf dem richtigen Weg. Immer höher geht es hinauf, der Fjord in Richtung Igaliku ist bald zwischen den Bergen verschwunden, dafür können wir nun wieder auf die Höfe von Ittileq schauen, die ganz weit unten am Eriks Fjord liegen. Den mit vereinzelt still dahinkriechenden Eisbergen gespickten Eriks Fjord im Blick steigen wir höher und höher bis wir schließlich zwei kleinere Seen erreichen. Hin und wieder erleichtert uns ein Trampelpfad das Gehen. Wir sind ganz allein. Nur die Schafe halten selbst hier oben ein wachsames Auge auf uns.

Die beiden kleineren Seen haben wir schnell hinter uns gelassen und stehen nun vor dem Tasersuasik, einem See auf 400 m Höhe, an dessen Ende es gute Lagerplätze geben soll. Bis dorthin sind es noch mindestens 3 km. Der stetige Aufstieg hat mich geschafft, der Rucksack hängt schwer auf den Schultern und der Magen schreit nach Essen. Doch das Ziel ist noch nicht erreicht und so kämpfen wir uns mühsam weiter immer am Ufer des Sees entlang. Geröll macht das Gehen beschwerlich und so werden die letzten Kilometer unendlich lang. Aufatmen, als wir das Ende des Sees erreichen, aber wo sind denn nun die auf der Karte verzeichneten Lagerplätze? Es gibt kaum ebene Stellen und die vorhandenen versinken im Morast. Wir müssen also eine Weile suchen, bis wir unser Zelt aufschlagen und endlich entspannt die wundervolle Natur um uns herum genießen können.

Das Wasser des Tasersuasik ist glasklar, aber auch eiskalt, da die Sonne hier durch die umliegenden hohen Berge kaum eine Chance hat, es zu erwärmen. Während der Kocher vor sich hinbrodelt und leckeren Knoblauchgeruch verströmt, sind wir gefangen von der grenzenlosen Weite und der Einsamkeit, die uns umgibt. Nur das Blöken der Schafe lässt uns wissen, dass wir doch nicht ganz allein sind. Gesättigt kriechen wir in die warmen Schlafsäcke und tanken Energie für den morgigen Tag.


Donnerstag, 30.06.2005

Wir erwachen auch gut erholt am nächsten Morgen. Die belegten Wurstbrote und der Duft des Kaffees wecken neue Kräfte. Wollte ich gestern noch keinen Schritt mehr weiter gehen, bin ich heute voller Tatendrang. Wieder einmal müssen die Rucksäcke neu gepackt werden und wieder einmal fragen wir uns, wie denn das ganze herumliegende Zeug in die beiden Rucksäcke passen soll. Aber wie jeden Morgen klappt es auch diesmal. Und nur wenig später sind wir bereit, die nächste Etappe des Königsweges zu bewältigen. Bis zum See Tasia auf 310 m Höhe ist es nur ein kurzes Stück.

Mit der abnehmenden Höhe und der fortschreitenden Tageszeit schafft es auch die Sonne wieder über die Berge. Und sie bringt liebe, von uns schon vermisste Gäste mit, Mücken! Es summt, es juckt und schon erscheinen dicke rote Pusteln auf Armen und Beinen. In Kürze gleichen unsere Gesichter denen pubertierender Jugendlicher. Da hilft nur das griffbereit verstaute Mückennetz, zu dessen Anschaffung mich Kirko glücklicherweise in Narsarsuaq noch überredet hatte. So getarnt lassen wir den Tasia-See linkerhand liegen und erreichen bald ein tiefes Tal, an dessen Ende jedoch schon der nächste steile Anstieg auf uns wartet.

Erst einmal müssen wir das Tal durchqueren. Wäre dieses nicht ein einziges Geröllfeld, hätten wir das uns umgebende einzigartige Panorama auch ohne ständige Pausen in aller Ruhe betrachten können. So aber sind wir gezwungen, den Blick stets nach unten zu richten, um nicht ins Straucheln zu geraten. Je mehr wir uns dem Anstieg nähern, umso unbezwingbarer erscheint mir dieser. Als wir davor stehen, bin ich fest davon überzeugt, dass wir unmöglich noch auf dem richtigen Weg sein können. Aber die Karte sagt eindeutig, vorwärts, da geht es hoch. Mehr durch Zufall finden wir einige Trampelpfade, die sich durch Gestrüpp und Geröll den Berg hinaufschlängeln und unser Vorwärtskommen erheblich erleichtern.

Mit mehreren Pausen, die uns einen fantastischen Blick auf die hinter uns liegenden Kilometer bescheren, haben wir den Anstieg schließlich geschafft. Eigentlich sollten jetzt zwei kleinere, kurz hintereinander liegende Seen zu sehen sein. Doch alles, was wir sehen ist etwa 300 m unter uns ein schmaler langgestreckter See. Vermutlich sind wir also wieder einmal vom Trail abgekommen. Das GPS-Gerät bestätigt diese Vermutung. Wir setzen die Rucksäcke ab und Kirko macht sich allein auf die Suche nach dem verlorenen Pfad. Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, als ich ihn nicht mehr sehe und mit einem Mal ganz allein hier stehe. Die Minuten kommen mir wie Stunden vor. Ich beginne zu frieren, krame meine Regenjacke heraus. Noch immer nichts von Kirko zu sehen. Ich strenge meine Augen an, dann endlich, da hinten ist er ja, ich bin erleichtert. Den richtigen Weg hat er auch wieder gefunden und so setzen wir nach kurzer Rast unseren Trek fort.

Die beiden Seen sind gar nicht weit weg, sie waren nur hinter den Hügeln verborgen.
Um dorthin zu gelangen, muss man laut Karte einen Fluss furten. Bei dem eiskalten Wasser sicher kein Vergnügen. Zum Glück finden wir eine Stelle an der Steinehüpfen nasse Füße verhindert. Am bisher höchsten Punkt des Treks genießen wir gerade noch die grandiose Aussicht auf die umliegenden Seen und die Ausläufer der Fjorde, als bereits aufziehender Nebel zum Weitergehen drängt.

Am Ende des ersten Sees angelangt, schließt sich fast ineinanderübergehend der zweite See an. Der Nebel wird immer dichter. Ganz unten am See geschützt von großen Gesteinsbrocken errichten wir schnell unser Lager. Eine Landschaft, wie sie den Elfen als Ort ihres Wirkens dient, umgibt uns plötzlich. Und das Blöken der uns immer noch treu folgenden Schafe klingt hier wie das Rufen der Trolle. Ein wenig gespenstisch! Aber der Geruch des Knoblauchs aus unserem leckeren Fjellsüppchen wirkt sicher auch gegen bösartige Trolle. Als es im Zelt so richtig kuschelig ist, sinken wir nach einem erlebnisreichen Tag in einen tiefen Schlaf.



Freitag, 01.07.2005

Huh, ist das kalt heute morgen. Aber es hilft nichts, die Blase drückt. Also bewege ich mich langsam aus dem gemütlichen Outdoorbett. Außerdem ist es bereits später Vormittag. Als ich vorsichtig den Zeltausgang öffne, fährt mir ein Schreck durch die Glieder. Der See, an dessen Ufer wir ganz dicht zelten, ist fast gar nicht mehr zu sehen. Ein dicker Nebelschleier hüllt uns ein. Ich denke sofort an die beiden Franzosen. Hoffentlich hält uns der Nebel nicht allzu lange auf. Erst einmal kann ich jedoch ruhigen Gewissens in den Schlafsack zurückkriechen, an Aufbruch ist vorerst nicht zu denken.

Am früheren Nachmittag kämpfen sich erste Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke, so dass wir doch noch zum Aufbruch rüsten. Der Nebel ist lichter geworden und dank GPS wagen wir uns auf den nächsten Abschnitt des Weges nach Qaqortoq. Von ganz oben geht es heute nach ganz unten. Teilweise sehr steile Abstiege zwingen immer wieder zur Vorsicht. Inzwischen ist die Nebeldecke ganz verschwunden und die Sonne zeigt sich erneut in voller Pracht. Nur die Mücken und kleine lästige Fliegen halten uns davon ab, die langärmeligen Fleeceshirts abzulegen. Winzige, kaum sichtbare Steinmännchen weisen uns den Weg immer weiter hinab ins Tal. Und dann plötzlich hinter einer Biegung eröffnet sich uns ein unglaublich faszinierender Blick auf den Tasiusaq, einen Ausläufer des Fjordes, an dessen Ufer ein großer Teil des vor uns liegenden Wegstückes entlangführt. Das Geschrei von Möwen und den Weg säumende Muscheln verbunden mit dem Geruch der Algen und des Salzwassers, lassen keinen Zweifel daran, dass wir das Meer bald erreicht haben.

Unten angekommen wartet ein Fluss darauf, überquert zu werden. Und diesmal hilft alles nichts, die Wanderschuhe müssen mit den Watsandalen getauscht werden. Die Hosenbeine hochgekrempelt servieren wir den blutsaugenden Mücken ein Festessen. Durch ein sehr breites Flussbett fließen mehrere Flussarme, die wir durchqueren müssen. Unsere Füße sind vor Kälte kaum noch zu spüren, als wir das gegenüberliegende Ufer erreichen. Von hier jedoch führt der Weg unproblematisch und ohne größere Anstiege immer entlang des Tasiusaq, bis die malerisch in einer Bucht gelegene gleichnamige Schäfersiedlung erreicht ist.

Einzig und allein herumstehende Schafe und Tiergatter versperren hin und wieder den Weg. In Tasiusaq bedeuten bewirtschaftete Felder, Traktoren, ein Auto und auf dem Meer dahintreibende Boote ein Zeichen von Zivilisation. Wir sehen niemanden. Lediglich ein Hund freut sich über unsere Streicheleinheiten und weicht uns seitdem nicht mehr von der Seite. Hinter der scheinbar verlassenen Siedlung führt uns ein kleiner Pfad weiter entlang des Fjordes. Der Hund folgt uns. Gutes Zureden, dass er zurückbleiben und Haus und Hof hüten müsse, hilft nichts. Woher soll der Hund auch deutsch können? Unerklärlicherweise trennt uns plötzlich ein Maschendrahtzaun von unserem Weg. Eine gute Gelegenheit unseren kleinen Streuner loszuwerden. Kaum macht Kirko jedoch Anstalten über den Zaun zu klettern, ist unser Bello schon darunter durchgekrochen und erwartet uns bereits mit treuem Blick auf der anderen Seite. Wir lachen herzlich über das witzige Kerlchen.

Ein paar Meter weiter finden wir nach einigem Suchen eine ebene Stelle an einem Bach, wo wir dann auch unser Zelt aufschlagen. Die Sonne hinterlässt einen roten Schleier in der Bucht, als sie langsam hinter den Bergen verschwindet. Es wird kalt. Der Magen knurrt. Heißer Tee und warmes Essen lassen die wohlige Wärme in unsere Körper zurückströmen. Der Hund sitzt noch immer treuergeben vor dem Zelt, als wäre es unserer. Irgendwann wird er Hunger bekommen und nach Hause zurücklaufen, denke ich. Doch Kirko überkommt das schlechte Gewissen und er spendiert ihm ein Stück von unserer genau abgezählten Wurst. Bello freut sich und deutet dies als Aufforderung uns ein wenig näher zu kommen. Nur mit Mühe können wir ihm klarmachen, dass er im Zelt nichts zu suchen hat, auch wenn er uns doch irgendwie ein wenig leid tut. Kirko spielt noch mit ihm, während ich es mir schon mal im Zelt gemütlich mache und auf der Karte die morgige Route studiere. Nur wenig später schlafe ich tief und fest.


Samstag, 02.07.2005

Wenn die Sonne auch heute wieder vom Himmel strahlt, ist es doch nicht diese, sondern das Zupfen an den Zeltleinen, dass uns aus dem Schlaf reißt. Unmissverständlich macht uns unser Hund klar, dass es Zeit ist aufzustehen. Dass er immer noch da ist, wundert uns nun aber doch. Vermisst denn niemand diesen drolligen Kerl? Doch um schon aufzubrechen, ist es viel zu schön hier. Der seit Tagen anhaltende Sonnenschein, das Meer, die in der Bucht dahintuckernden Boote, sind wir wirklich noch auf Grönland? Hier vergessen wir die Zeit und genießen einfach nur, mit uns und dieser wunderbar heilen Welt allein zu sein. Beim späten Frühstück kann Kirko mal wieder den Blicken unseres treuen Begleiters nicht standhalten und spendiert ihm abermals ein Stück der deutschen Salami. So langsam erweicht er aber auch mein Herz und er genießt mein Kraulen sichtlich. Eine schlabberige kalte Hundeschnauze in meinem Gesicht ist sein Dank dafür.

Es fällt uns schwer diesen idyllischen Platz am Nachmittag zu verlassen. Der Weg führt uns weiter entlang des Fjordes bis zur nahegelegenen Hvalsö Ruine. Schon von weitem sehen wir die Ausflugsboote, die Touristen hierher bringen. Und so sehen wir hier auch seit Tagen die ersten Menschen. Es riecht lecker nach Grillwürstchen. Findet unser Bello, der uns noch immer gefolgt ist, wohl auch und ist plötzlich schneller als der Blitz verschwunden. Aus der Ferne sehen wir, wie man ihm die frisch gegrilltem Würstchen zuwirft. Da kann ein winziges Stück deutsche Salami nicht mithalten.

Die Hvalsö Ruine ist die besterhaltendste Siedlung der Wikinger, die einst das Land bevölkerten. Neben der besonders gut erhaltenen Kirche, kann man auch Wohnhäuser, Ställe und Vorratskammern sehen. Ein bisschen Phantasie benötigt man jedoch, um sich vorzustellen, wie Mensch und Tier hier auf engstem Raum zusammenlebten. Die Besichtigung der Hvalsö Ruine zählt zu den beliebtesten Ausflugstouren Südgrönlands und bildet einen Höhepunkt auf dem Königsweg. Nur kurz ist unsere Berührung mit der Zivilisation. Gleich hinter der Hvalsö Ruine beginnt ein Wald dichter Kriechweiden. Den Weg, falls es einen gibt, haben wir mal wieder aus den Augen verloren, so dass wir uns durch mannshohes Gestrüpp kämpfen. Da wir vermuten, dass die Vegetation weiter oben niedriger ist, klettern wir immer mehr den Hang hinauf. Aber der Wald aus Kriechweiden bleibt ein Wald. Wir kommen nur sehr langsam voran und es dauert Stunden, bis wir die Abzweigung zum Redekammen, dem höchsten Berg der Gegend erreicht haben.

Eigentlich wollten wir hier campieren, um am nächsten Tag den Redekammen zu besteigen. Zum Glück werden wir uns schnell darüber einig, uns die Besteigung des Redekammens für den nächsten Besuch auf Südgrönland aufzuheben. Wir steigen hinab ins Tal und stehen mal wieder vor einem Fluss, der uns zwingt, Schuhe und Strümpfe auszuziehen, in die Watsandalen zu schlüpfen und mit so wenig wie möglich Mückenstichen an den ungeschützten Beinen auf die andere Seite zu gelangen. Kaum ist dies vollbracht, wartet schon der nächste Anstieg auf uns. Noch einmal geht es fast 300 Höhenmeter hinauf. Wir werden von der direkt vor uns stehenden Sonne so stark geblendet, dass wir uns nur schwer orientieren können.

Der Anstieg ist beschwerlich und auf dem vermeintlichen Gipfel, erwartet uns der nächste Anstieg. Doch die Anstrengung hat sich gelohnt, denn endlich oben angelangt, werden wir mit einem für alle Qualen entschädigenden Blick über den gesamten Fjord bis zurück auf die am Ende des Fjords liegende Siedlung Tasiusaq belohnt. Bis in die nächste Bucht des Fjordes geht es nur noch abwärts. Von Markierungen und Wegen jedoch keine Spur. Geht es anfangs noch recht gut voran, zwingen uns nur wenige Meter später immer wieder unbezwingbare Felsabbrüche einen anderen Abstieg zu suchen. Auch wird das Gestrüpp wieder dichter, um so weiter wir nach unten gelangen und so dauert es nicht lange und wir befinden uns erneut in einem Dickicht aus Kriechweiden. Ich bin kraftlos und gefrustet und habe nur noch ein Ziel, den in der Tiefe, aber noch weit entfernten Bach zu erreichen.

Als wir uns diesem nähern, bete ich, dass wir dort eine Stelle finden, an der wir unser Zelt aufschlagen können. Leicht ist es nicht, die einzige ebene Stelle befindet sich direkt an einem kleinen Abhang. Aber nach dem heutigen Tag ist uns alles recht. Wie ich nun feststellen muss, habe ich in dem Dschungel aus Kriechweiden, unsere Trinkflasche verloren. Ob sie wohl jemals jemand findet? Ich bin so kaputt, dass ich Zeltaufbau, Wasserholen und Kochen Kirko überlasse, der dies geduldig erträgt. Erst der aus dem Topf strömende Knoblauchgeruch weckt meine Lebensgeister wieder. Und so fühle ich mich nach dem Essen schon fast wieder bereit die nächste Etappe anzugehen.

Noch während wir über die uns die Orientierung erschwerende Sonne klagen, hören wir wie draußen die ersten Regentropfen auf das Zelt fallen. In dem befriedigendem Wissen ein Nylondach über dem Kopf zu haben, holt uns der Schlaf ein...



Sonntag, 03.07.2005

Immer wieder weckt uns in dieser Nacht das Geräusch des auf das Zelt prasselnden Regens. Statt nachzulassen, nimmt der Regen gegen Morgen zu. Die winzigen Regenpausen reichen gerade einmal, um die nötigsten Bedürfnisse außerhalb des Zeltes zu befriedigen.

Die gestrige Beschwerde über die die Sicht nehmende Sonne wird sofort bestraft. Unmöglich an Aufbruch zu denken. Schlafend, lesend und immer wieder die Karte studierend, verbringen wir den Vormittag. In zwei Tagen könnten wir in Qaqortoq sein, aber das Wetter hält uns hier gefangen. Der Regen hört zwar auch am Nachmittag nicht auf, aber die niederschlagsfreien Zeiten werden immer länger. Wir nutzen eine dieser Phasen, um zusammenzupacken und uns doch noch auf den Weg zu machen.

Neidisch schaue ich auf das Boot, das in der Bucht vertäut liegt. Was für ein sinnloser Gedanke, allein meine Füße werden mich nach Qaqortoq tragen. Zunächst müssen sie sich jedoch durch das vom Regen durchnässte Gestrüpp schlagen. Die Hosen kleben unangenehm an den Beinen. Aber von oben bleibt es trocken. Als wir über eine Anhöhe auf die nächste Bucht zulaufen, gibt das GPS-Gerät plötzlich einen merkwürdigen Ton von sich. Der Blick auf das Gerät zeigt die Meldung „Mann über Bord“. Kirkos verdutztes Gesicht versetzt mich augenblicklich in Gelächter. Vielleicht hat das Gerät ja etwas viel Regen abbekommen? Ausnahmsweise finden wir mal wieder einen Trampelpfad, der uns das Gehen unwahrscheinlich erleichtert.

Auf den nächsten Kilometern kommen wir zügig voran. Nur das Rutschen über nasses Geröll erinnert uns manchmal daran, das Tempo etwas zu drosseln. Die uns umgebende Landschaft bleibt für uns leider hinter Regen- und Nebelschleiern unsichtbar. Auch die auf der Karte verzeichnete Schaffarm können wir nur anhand der Zäune ausmachen. Von Schafen keine Spur. Unaufmerksamkeit hätte uns hier fast auf den falschen Weg geleitet, doch gerade noch rechtzeitig bemerkten wir diesen Irrtum. Immer weiter am Fjord entlang schlängelt sich der Weg nun von Bucht zu Bucht.

Irgendwo hier am nächsten Bach möchte ich bleiben, die nassen Klamotten loswerden, etwas Warmes essen und trinken. Ich glaube an einen schlechten Scherz, als Kirko mir erzählt da vorn sei eine Hütte. Doch dann sehe ich sie auch. Wir träumen davon, dass dies vielleicht eine für jeden zugängliche Touristenhütte, wie wir sie vom Arctic Circle Trail kennen, ist. Dies verleiht uns noch einmal neue Motivation. Und egal, ob Touristenhütte oder nicht, Wasser wird es dort auf jeden Fall geben. Doch die Hütte ist längst nicht so nah, wie es schien und zwischen uns und der Hütte liegen noch einige steile Hänge, an denen wir uns entlang hangeln müssen. Die Enttäuschung ist groß, als wir mit letzter Kraft die leider verschlossene Privathütte erreichen. Bereits geübt steht unser Outdoorhaus jedoch sehr schnell, auch wenn die einzige ebene Stellfläche sich mal wieder nahe am Abgrund befindet.

Noch einmal zieht der Geruch von Knoblauch durch unser Zelt, während wir die letzten Essensvorräte verschlingen. Erschöpft, aber mit dem guten Gefühl morgen in Qaqortoq zu sein, schlafen wir zufrieden ein.


Montag, 04.07.2005

Ausnahmsweise weckt uns heute ein Geräusch der Zivilisation, der Wecker. Wir wollen früh aufbrechen, um früh anzukommen. Und so stehen wir dann auch gegen 10.00 Uhr mit den fertig gepackten Rucksäcken bereit, die letzten Kilometer auf dem Königsweg zurückzulegen.

Schuhe und Strümpfe sind noch nass und das Wetter gleicht immer noch der Waschküche von gestern. So sehen wir wenig von der Landschaft ringsum. Immer entlang des Fjordes lassen wir Bucht um Bucht hinter uns. Zwei weitere Hütten liegen am Wegesrand, vermutlich die Wochenendhäuser der Einwohner Qaqortoqs. Auf dem Fjord tuckern Boote dahin und über uns kreisen Helikopter. Weit kann es bis Qaqortoq nicht mehr sein, denken wir, aber hinter jeder Bucht folgt sofort die nächste.

Wenig später taucht wie aus dem Nichts ein Zelt vor uns auf. Wir sind nicht mehr allein. Über unseren Köpfen kreist von uns aufgeschreckt ein Seeadler. Wild mit den Flügeln schlagend steuert er immer wieder auf die neben uns liegende Felswand zu. Irgendwo dort oben hat er vermutlich sein Nest und vielleicht auch ein paar hungrige Schnäbel zu füttern.

Weiter am Fjord entlang erreichen wir bald ein Sommerlager der Inuit. Ob der eigentliche Weg nach Qaqortoq hinter dem Lager über das Gebirge auf die andere Fjordseite führt, werden wir wohl nie erfahren. Wir jedenfalls folgten zunächst weiter dem Fjord. Zu spät kam uns die Einsicht, dass das letzte auf dem Weg nach Qaqortoq zu überwindende Gebirge immer steiler wurde. Zurück? Nein, zu weit ist die vermeintlich richtige Abzweigung schon weg. An der vermutlich am schlechtesten begehbaren Stelle begannen wir unseren Aufstieg. Immer höher ging es hinauf, der Fjord blieb tief unter uns zurück. Erschrocken blickten wir auf die tief hängenden Regenwolken, die uns plötzlich völlig einhüllten. Kein Gebirge, kein Fjord war mehr zu erkennen. Was nun? Ausharren? Aber wer weiß wie lange und hier gibt es nicht einmal sauberes Wasser.

Dass wir irgendwie weiter müssen, darüber wurden wir uns schnell einig, nur in welche Richtung? Mal sehen, was unser GPS-Gerät dazu sagt. Zwar hegte ich große Zweifel an der vom Gerät angezeigten Richtung, doch tat ich langsam alles, um endlich anzukommen. Wenn es sein musste, wollte ich dazu auch einem GPS-Gerät trauen. Wir verließen den Gipfel und stiegen auf der anderen Seite Richtung Fjord hinab. Mit dem sich verziehenden Dunst der Wolken kamen in der Ferne die ersten Häuser von Qaqortoq in Sicht. Dass meine Beine mich eigentlich schon längst nicht mehr tragen wollten, war augenblicklich vergessen. Wie von allein bewältigten sie plötzlich den nicht ganz ungefährlichen Abstieg nach Qaqortoq und landeten mitten im Ort direkt vor dem Seemannsheim.

Unser Bedürfnis nach einer heißen Dusche, einem weichen Bett und einem richtig guten Essen war sehr groß, und so zögerten wir nicht lange und quartierten uns hier ein. Auch wenn die Zimmerpreise dem doch eher dürftigen Standard nicht gerecht wurden, fühlten wir uns nach der Dusche ausgesprochen wohl. Aus dem guten Essen wurde jedoch leider nichts, das Reisgericht chinesischer Art der Cafeteria im Seemannsheim, ließ doch sehr den Wunsch, zurück zur Campingküche offen. Den noch verbleibenden Abend nutzten wir um unsere Ausrüstung zu trocknen und zu reinigen und um die verschmutzten und verschwitzten Klamotten zu waschen.

Am morgigen Tag wollten wir dann in aller Ruhe erkunden, ob Qaqortoq, die angeblich schönste Stadt Südgrönlands dem Charme Sisimiuts im Westen Grönlands standhalten kann.